Erster Formulierungsvorschlag muss dringend nachgebessert werden
Am 5. April 1992 wurde die UN-Kinderrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert. Heute, 28 Jahre später, wird ein Meilenstein erreicht und Kinderrechte erhalten Einzug ins Grundgesetz. Jahrelang diskutierten die Regierungsparteien von Union und SPD über einen Textentwurf. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Abgeordneten der SPD und der Union, konnte sich vor Weihnachten auf einen Kompromiss einigen und setzten die Regierungsfraktionen diese Woche über ihren Formulierungsvorschlag in Kenntnis. Union und SPD wollen die Formulierung noch vor der Bundestagswahl in das Grundgesetz bringen. Für eine Grundgesetzänderung wird eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat benötigt, somit sind auch Stimmen aus der Opposition notwendig.
Dass Kinder nun explizit Erwähnung finden und so als Rechtssubjekte anerkannt werden, ist begrüßenswert. Das Ausmaß an tatsächlich einklagbaren Rechten fällt jedoch gering aus. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Formulierung nicht weit genug geht und sogar wesentlich schwächer ausfällt als die Forderungen der UN-Kinderrechtskonvention, bleibt die große Freude aus. Die Formulierung soll zum Artikel 6 des Grundgesetzes, in dem das Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat geregelt ist, hinzugefügt werden. Der Formulierungsvorschlag lautet wie folgt:
„Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen [Hervorh. d. Verf.] zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“ (Tagesschau.de, Artikel vom
Die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz muss zum Ziel haben, die Belange von Kindern in allen gesetzgeberischen, politischen und gerichtlichen Entscheidungen stärker als bisher zu berücksichtigen. Das kann durch die Formulierung „vorrangig“ oder
„angemessen“ stark beeinflusst werden. So verlangt es auch die UN-Kinderrechtskonvention:
„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen […] ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt der vorrangig [Hervorh. d. Verf.] zu berücksichtigen ist“. (UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 3, Absatz 12).
Die Entschiedenheit sich von dieser Forderung zu lösen und auf die kontextbezogene Angemessenheit zu verweisen, ist nicht hinnehmbar. Dem Kinderwohl muss Vorrang eingeräumt werden. Auch enttäuschend ist, dass lediglich der Anspruch auf rechtliches Gehör beschrieben
wird. Anstatt aus der Corona-Situation und den andauernden Protesten für mehr Klimaschutz zu lernen und jungen Menschen Beteiligungsrechte einzuräumen, werden sie nun auch qua Grundgesetz als nicht-vollwertiges Mitglied der Gesellschaft
dargestellt. Junge Menschen brauchen das (einklagbare) Recht auf Beteiligung.
In Anlehnung an den Beschluss des Deutschen Bundesjugendrings vom 5./6. September 2018 bleibt der Formulierungsvorschlag folgende Punkte schuldig:
- Das Recht aller Kinder auf Schutz vor Gewalt und anderen Gefährdungen.
- Das Recht aller Kinder auf Beteiligung an allen sie betreffenden Entscheidungen.
- Die Verpflichtung des Staates, Chancengerechtigkeit und kindgerechte Lebensbedingungen für alle Kinder zu gewährleisten.
Den Vorstoß, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern, unterstützen wir ausdrücklich. Die angesprochenen Punkte müssen unter allen Umständen nachgebessert werden. Andernfalls ist dieser Kompromiss nicht mehr, als ein schlechter Versuch, den Vereinbarungen des Koalitionsvertrages zwischen Union und SPD nachzukommen, welchem keine Zustimmung erfolgen sollte.